Wie jede Religion führt auch die Scientology Kirche die formalisierten, wiederholbaren und besonderen Arten religiöser Handlungen durch, die ein Ritual darstellen. Das Ritual der Scientology enthält sicherlich Zeremonien, die an bekannte Praktiken anderer Religionen erinnern. Ordinierte Geistliche der Scientology vollziehen die Riten, die von der Kirche für Eheschließungen, Taufen (in Scientology Namensgebungen genannt) und Trauerfeiern vorgeschrieben sind. Sie halten auch regelmäßige Sonntagsandachten in den Andachtsstätten der Scientology ab. In der Scientology Kirche sind diese Rituale jedoch kein Selbstzweck. Sie bieten formelle Gelegenheiten, das befreiende Wissen der Scientology zu bekräftigen. Wie L. Ron Hubbard erklärte: „In einer kirchlichen Andacht der Scientology benutzen wir keine Gebete, Frömmigkeitshaltungen oder ein Drohen mit Verdammnis. Wir benutzen das, was im Wissensgebiet der Scientology entdeckt wurde, nämlich Tatsachen, Wahrheiten und Verstehen. Wir lesen nicht aus der Bibel (oder dem Koran oder der Thora und auch nicht aus den vedischen Hymnen) und sagen zu den dort versammelten Leuten: ‚Das hier ist nun etwas, das ihr glauben müsst‘. “21 Wiederum besteht das Ziel der Scientology nicht darin, einen frommen Glauben an eine persönliche Gottheit, einen heiligen Text oder eine religiöse Praktik zu kultivieren; Ziel ist es, religiöses Wissen zu erreichen.
Ordinierte Geistliche der Scientology vollziehen die Riten, die von der Kirche für Eheschließungen, Taufen (in Scientology Namensgebungen genannt) und Trauerfeiern vorgeschrieben sind. Sie halten auch regelmäßige Sonntagsandachten in den Andachtsstätten der Scientology ab.
Die zentrale rituelle Praktik in der Scientology Kirche auf dem Weg zu diesem befreienden Wissen ist als „Auditing“ bekannt. Abgeleitet von dem lateinischen Wort audire, was hören oder zuhören bedeutet, wird Auditing in Sitzungen zwischen einem Neuling und einem erfahrenen Auditor durchgeführt, der sorgfältig zuhört und den Fortschritt mitverfolgt. Die Theorie, die diese Praktik unterstützt, besagt, dass der Mensch einen analytischen Verstand besitzt, der Informationen verarbeitet, und einen reaktiven Verstand, der Erinnerungen an alle schmerzhaften Erlebnisse der Vergangenheit speichert. Da viele dieser Erlebnisse traumatisch waren, gibt es im reaktiven Verstand tiefe Spuren bzw. seelische Narben, die als Engramme bezeichnet werden. Diese seelischen Hindernisse wurden durch frühere Lebenserfahrungen, vorgeburtliche Erlebnisse und vergangene Leben eingepflanzt. Obwohl die Engramme im reaktiven Verstand fest verankert sind, können sie durch Auditing ins wache Bewusstsein zurückgerufen und geklärt werden. Als Hilfsmittel in diesem Prozess wird in den Auditing-Sitzungen ein elektronisches Messgerät verwendet – das Elektropsychometer oder E-Meter –, um die seelischen Ladungen zu messen, die mit dem reaktiven Verstand verbunden sind. In der Sprache der Scientology ist das E-Meter ein religiöses Gerät, das in seelsorgerischen Beratungssitzungen benutzt wird. Durch das Auditing können Engramme aufgelöst werden, was zu einem Seinszustand führt, der von Scientologen als „Clear“ bezeichnet wird.
Obwohl das Auditing auf bestimmten psychodynamischen Theorien und Methoden beruht, kann es als eine rituelle Praktik verstanden werden, die Merkmale von religiöser Heilung, Beichte und Meditation verbindet.
In erster Linie kann das Auditing als rituelle Heilung betrachtet werden. Wie der Religionshistoriker Jonathan Z. Smith einmal bemerkte, „kann eine Religion, die nicht heilt, nicht lange überleben“.22 In der modernen Welt haben religiöse Traditionen die Verantwortung für die Heilung des Körpers und der Seele einem wissenschaftlich-medizinischen Berufsstand übergeben. Wie andere „neue religiöse Bewegungen“ hat die Scientology Kirche jedoch daran gearbeitet, diese religiöse Funktion des Heilens zurückzufordern. Insbesondere ist die Scientology Praktik darauf ausgerichtet, eine spirituelle Heilung zu erreichen, die positive Folgen für die Gesundheit und das Wohlergehen von Geist und Körper haben kann.
In zweiter Linie hat das Auditing viele charakteristische Eigenschaften der religiösen Rituale der Beichte. Die Beichte ist ein vertrautes Merkmal der römisch-katholischen Religionsausübung, wobei Reue, Beichte bei einem Priester und Bußübungen einen wichtigen rituellen Zyklus bilden, doch kommt sie als Ritual auch im Buddhismus vor. Im buddhistischen Text des Mahavagga heißt es, wenn jemand „sich daran erinnert, eine Sünde begangen zu haben, und wieder rein werden möchte, so lass ihn die Sünde bekennen, die er beging, und wenn die Sünde offenbart ist, soll alles mit ihm gut sein“.23 Daher erfordert der Zustand spiritueller Reinheit im buddhistischen Ritual, dass man sich an Geschehnisse der Vergangenheit erinnert und sie durch die Beichte offenbart. Dieser Zustand spiritueller Reinheit ähnelt in gewisser Hinsicht dem, was Scientologen als „Clear“ bezeichnen.
Zum Dritten erinnert die Praktik des Auditings, besonders in den fortgeschrittenen Stadien des „Solo-Auditings“, an traditionellere religiöse Rituale der Meditation. Im Buddhismus werden zum Beispiel oft rituelle Hilfsmittel benutzt, um die Aufmerksamkeit auszurichten. Der Meditierende könnte sich etwa auf ein visuelles Muster, einen geheiligten Ton oder ein rätselhaftes Geheimnis konzentrieren, um eine neue Klarheit des Bewusstseins zu erreichen. Häufig wird die Meditation von einem Lehrer überwacht, der den Fortschritt der Novizen beobachtet.
Zusätzlich zum Auditing bietet die Scientology im Rahmen eines Bildungsprogramms Ausbildung an, womit die religiöse Dimension der Tätigkeit des Studierens wiederhergestellt wird. In vielen religiösen Traditionen ist das intensive Studium heiliger Texte ein wichtiges religiöses Ritual. In der jüdischen Yeshiva zum Beispiel wird das Studium heiliger Texte unter der Anleitung eines Talmud-Lehrers ausdrücklich als eine religiöse Aktivität mit allen Charakteristika eines Rituals verstanden. In ähnlicher Weise umfasst die Scientology Ausbildung eine intensive Beschäftigung mit religiösen Texten, unter geistlicher Aufsicht, als bedeutsame religiöse Tätigkeit. Genauso wie die Scientology Kirche versuchte, die religiöse Aufgabe des Heilens zurückzugewinnen, so hat sie sich auch darum bemüht, die religiöse Bedeutung der disziplinierten Tätigkeit des Studierens wiederherzustellen.